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Verantwortlicher Autor: Sharon Oppenheimer Tel Aviv, 23.03.2025, 19:45 Uhr
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Versuch einer Rekontruktion der Passauer Synagoge
Versuch einer Rekontruktion der Passauer Synagoge  Bild: Sharon Oppenheimer

Tel Aviv [ENA] Passau, einst das römische Batavis verfügte im Mittelalter über eine blühende jüdische Gemeinde. Ein erlogener Hostienfrevel, erfunden von einem christlichen Kirchendieb löste eine tiefgreifende Verfolgungswelle aus. Die jüdische Gemeinde und ihre Infrastruktur wurden dadurch unwiderruflich zerstört

Die sog. „Raffelstätter Zollordnung“ von etwa 900, die den Handelsverkehr zwischen Bayern, Böhmen und Mähren regelte, enthält eine erste Erwähnung von Juden in Passau. Jüdisches Leben in der Stadt kann erst im 12. Jahrhundert nachgewiesen werden, als die Mitglieder dieser Minderheit der Gerichtsbarkeit des Passauer Bischofs unterlagen. Für das Jahr 1210 gibt es jedoch Berichte über die Plünderung jüdischen Eigentums. Die Situation der Minderheitenangehörigen in Passau und anderen Orten verschlechterte sich erst mit dem 1267 in Wien gefassten Beschluss zur Trennung von Juden und Christen.

Weitere wichtige Daten werden genannt, wie die Erwähnung in Urkunden einer Synagoge im Jahr 1314, einer „Judenstraße“ im Jahr 1328 und eines eigenen Friedhofs im Jahr 1418. Bis zu diesem Zeitpunkt war es für Juden aus Passau verpflichtend, ihre Verstorbenen im damals noch mehrere Tagesreisen entfernten Regensburg beizusetzen. Die Verfolgung von Juden ist für die Jahre 1349, im Nachgang einer Pestepidemie, und 1390 dokumentiert. Literarische Quellen verbinden vorübergehende Verhaftungen von Juden gegen Ende des 14. Jahrhunderts mit einem Erlass des Königs Wenzel zur Schuldentilgung.

Ein Dieb soll im März 1478‚ gestanden haben, Hostien gestohlen und an Juden verkauft zu haben. Zehn Juden bekannten sich unter grausamer Folter dazu, die Hostie mit einem Messer durchstochen zu haben, was dazu führte, dass sie zu bluten begann. In der Folge wurden diese Juden und der christliche Dieb zum Tode verurteilt. 40 Juden sollen zum Christentum konvertiert sein, während die anderen aus der Stadt verbannt wurden. Die Synagoge sowie die Wohnstätten der Juden wurden daraufhin abgerissen. An Stelle der zerstörten Synagoge wurde eine Wallfahrtskirche errichtet: die St.-Salvator-Kirche. Diese Kirche wurde zwischen 1479 und 1495 (Angaben weichen in verschieden Quellen voneinander ab) als „Sühnekirche“ für einen angeblichen Hostienfrevel.

Im Jahr 1477 wurde den Juden, die in Passau im Ortsteil Ilzstadt lebten, unterstellt, sie hätten eine geweihte Hostie mit einem Messer durchbohrt, woraufhin Blut aus ihr geflossen sei. Die Angeklagten wurden verbrannt, die Juden aus Passau vertrieben, und die Synagoge, sowie das Judenviertel wurden abgerissen. Das Geschehen wurde auf einem Holzschnitt in drastischer Form abgebildet, wobei das Messer, das für die vermeintliche Schändliche Handlung verwendet wurde, zu einer Reliquie stilisiert wurde. Aus dieser Quelle zur Geschichte des Bauwerks geht ferner hervor, dass diese Wallfahrt niemals die Bedeutung der „Deggendorfer Gnad“ erreichten. Die Kirche nach der Säkularisierung von 1803 profaniert und verkauft.

Der neue Eigentümer habe sie in ein Wohnhaus umgewandelt. Später sei die Kirche durch Bischof Heinrich wieder dem alten Zweck zugeführt worden. Bereits im Jahr 1210 wurden die Juden im Zuge eines innerstädtischen Aufruhrs erstmals verfolgt. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts konnten die Juden in Passau in ihrer Heimatstadt leben; die Umbrüche des Spätmittelalters führten danach in mehreren Verfolgungswellen zum Ende der jüdischen Gemeinde. Zu Beginn handelte es sich dabei um die Hostienfrevelanklagen aus Bayern und Österreich von 1338 sowie um die katastrophalen Pogrome während der Pestzeit ab 1349. Es scheint jedoch, dass die Passauer Gemeinde davon nicht zerstört wurde und weiterhin bestand.

Nach 1420 kamen aus Österreich vertriebene Juden hierher und vergrößerten das „Oppidum Judaeorum“ auf 54 Familien. So konnte sich eine recht eigenständige und differenzierte Gemeinde mit dem Brauch der Landshuter Juden entwickeln. Grund für das Ende der Passauer Judengemeinde war ein mutmaßlicher Hostienfrevel. Die von dem spanischen Bollwerk der antisemitischen Propaganda „Fortalitium Fidei“ ausgelöste Ritualmordhysterie führte zur Judenverfolgungen in Passau im Jahr 1478, in Trient und Regensburg (1474-1476). In dem bekannten Flugblatt aus dem Jahr 1480 zu den Passauer Ereignissen wird deutlich, dass der erlogene jüdische Hostienfrevel seinen Ursprung bei einem christlichen Kirchendieb hatte, der nach der Festnahme Juden anschwärzte.

Kaum ein deutscher Abiturient hat nicht im Deutschunterricht wenigstens einmal von der legendären Sammlung deutscher Volksliedtexte „Des Knaben Wunderhorn“ gehört. Nur die wenigsten Germanisten und Antisemitismusforscher wissen, dass dieses Kompendium deutscher Lyrik zwei Werke mit jüdischer Thematik enthält. Eines davon handelt von der verleumderischen Hostienschändung in Passau.

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