Vor 80 Jahren: Kriegsverbrechen in Maillé, am 25.8.1944.
Frankfurt am Main [ENA] Am 25.8.1944 ist der Tag der Befreiung in Frankreich. Die Panzer der Alliierten fahren in die Champs-Elysées ein und die jungen Franzosen*innen klettern auf die Panzer und schwenken die Trikolore. Paris ist im Jubel. Am selben Tag an einem anderen Ort, in dem Dorf Maillé, geschieht ein Massaker.
Etwa 80 deutsche Wehrmachtsoldaten und Waffen-SS Männer erschießen 124 Einwohner*innen in dem Dorf Maillé. Sie erschießen Männer, Frauen, Kinder, Babies und alte Menschen, wahllos, alles, was sich bewegt. Sie zünden die Häuser und Höfe an. Manche Franzosen*innen können sich in den Kellern verstecken oder flüchten an den Fluss und verbergen sich unter der Brücke. Den ganzen Vormittag über betraten die SS-Soldaten die Häuser, Höfe und wenige Geschäfte des Dorfes, um die Bewohner - Männer, Frauen, Kinder, Babys in ihren Krippen - zu ermorden. Insgesamt wurden 124 Menschen mit Gewehren, aus nächster Nähe, mit Bajonetten, Granaten oder Messern hingerichtet. 43 der Ermordeten waren Kinder im Alter von bis zu zwölf Jahren.
Maillé liegt etwa 40 km von La Rochelle entfernt und hatte vor dem Massaker 1944 insgesamt 500 Einwohner. Das Massaker von Maillé ist nach dem von Oradour-sur-Glane das größte Massaker an Zivilisten in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs. Die Gräueltaten der Deutschen in Frankreich wurden lange nicht thematisiert. Ein Massaker an Zivilisten, die willkürlich umgebracht wurden, sollte nicht vergessen werden. Erst im Jahre 2006 wurde in Maillé ein Museum zur Erinnerung an den schrecklichen Überfall und die zahlreichen Opfer errichtet. Die Besucherzahlen des Maison du Souvenir (Haus der Erinnerung) sind aber bis heute niedrig.
Die geschichtlichen Hintergründe der Tat sind lehrreich. Maillé ist an der Nationalstraße 10, die von hunderttausend deutschen Soldaten in der Zeit von Mitte bis Ende August passiert wurde, gelegen. Die Deutschen waren auf dem Rückzug, nach dem D-Day am 6. Juni 1944 waren die Alliierten bereits im Norden von Frankreich und Paris wurde gerade befreit. Sie wussten, dass sie wahrscheinlich den Krieg verlieren werden. Umso stärker war das Rachegefühl, das sie antrieb, solche Taten zu begehen. Die Argumentation für das Massaker: die Franzosen decken Widerstandskämpfer und sind somit als Terroristen einzustufen.
Die Deutschen bekennen sich zu dem Vergeltungsschlag und hinterlassen auf einem Stück Papier die Botschaft: „Dies ist die Bestrafung von Terroristen und ihren Helfern“. Ein Ähnliche Argumentationen werden heute in anderen Krisengebieten der Welt benutzt. Zivilisten werden umgebracht, weil angeblich die Terroristen sie als menschliche Schutzschilder benutzen. Im Maillé als auch in den heutigen Kriegsgebieten werden Frauen, Kinder und alte Menschen, die Verletzlichsten, nicht geschont. In Maillé waren die Ermordeten zwischen drei Monaten und 89 Jahre alt. Die Opfer waren 35 Männer, 41 Frauen und 48 Kinder unter 14 Jahre. Von 60 Häusern im Dorf wurden 52 durch Bomben der Luftwaffe und durch gelegte Feuer zerstört.
Zeitzeugin Christiane Guitton (Jahrgang 1934): „Die Deutschen verbrannten alles und töteten jeden, den sie entdeckten.“ Prof. Dr. Friedhelm Boll, Historiker und Vorstand des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V“, schildert seine Begegnungen mit Zeitzeugen im Heft Nr. 116 / November 2023. Das obige Zitat ist von Seite 31. Der Anlass für das Massaker war wahrscheinlich der Zwischenfall am 24.8.1944, als nördlich der Gemeinde von Maillé der französische Widerstand zwei Fahrzeuge mit deutschen Soldaten angriff und es auf deutscher Seite mindestens einen Verletzten gab.
Oberstleutnant Stenger ordnete die Strafmaßnahme an, bestritt aber später, das Ausmaß und die Härte der Durchführung angeordnet zu haben. Unterleutnant Gustav Schlüter führte sie mit 80 Männer der Waffen-SS und mit Unterstützung der Luftwaffe und Wehrmachtsoldaten durch. Er wurde 1952 vom Militärgericht in Bordeaux in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Er starb 1965 unbehelligt in seinem Haus in Deutschland. Ober-Staatsanwalt Ulrich Maaß eröffnet am 1. August 2005 offiziell eine Untersuchung des Massakers von Maillé. Die deutsche Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren Anfang 2017 mangels Schuldige und Beweisen ein.
Es gibt heute neue Hinweise über die Beteiligung des 17. SS-Panzergrenadier-Division „Götz von Berlichingen“ an dem Massaker. Nach neuen amerikanischen Quellen aus US-Archiven von 2021 war diese Einheit an dem Massaker beteiligt. Das Massaker wurde nicht rechtzeitig verfolgt. Nach dem Krieg schaute Charles de Gaulle lieber nach vorne und wollte mit Konrad Adenauer eine neue freundschaftliche Zusammenarbeit. Die Deportationen der Shoah überschatteten die anderen Gräueltaten. Diese wurden nicht weiter verfolgt. 80 Jahre später sind daher noch viele Fragen offen. Die Täter leben nicht mehr. Das Museum in Maillé ist ein Ort des Erinnerns und sollte den europäischen Gedanken festigen. Link zum Museum: https://maisondusouvenir.fr/